Bad Segeberg - Kaiser-Wilhelm-Koog

 Auch die heutige Etappe mit ihren 110 km durch das flache Schleswig-Holstein kann von uns zum Ausruhen genutzt werden. Wir durchqueren kurz hinter Bad Segeberg das Stellbrookmoor, das seit 1968 mit seinen 35,4 ha als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist. Früher bildete es eine landschaftliche Einheit (Hochmoor) mit dem Hasen-, Langloh, Halloher und Holmer Moor. Diese wurden aber zum großen Teil entwässert und abgetorft, der Rest steht heute aber unter strengem Schutz.

Nach 48 km durchqueren wir die Keramikstadt Kellinghusen, mit ihren 8.100 Einwohnern auf 6 m ü.NN gelegen. Der Orstname altnordischer Herkunft lässt sich mit „Mit Häusern bebauter Platz der Leute des Karl“ übersetzen. Aufgrund der reichlichen Tonvorkommen entstanden hier reichliche Fayence-Fabriken, und zu dänischer Zeit stellte Kellinghusen das Geschirr für Dänemark her.

 Nach 80 km ist schließlich das Ende einer Pilgerfahrt erreicht – zumindest wenn man Die-Hard Metalfan ist. Wir passieren Wacken. Das 1830 Einwohner zählende Dorf (26 m ü. NN) ist bekannt durch das Wacken Open Air, das weltgrößte Metal-Festival. Das dreitägige Festival spült jährlich große Mengen Geld in die Kassen des Ortes, und fast jeder Einwohner profitiert am Ende davon. Allein die Einnahmen der Gastronomiebetriebe erreichten 2007 hauptsächlich durch das Festival 4350 € pro Einwohner. 2008 wurden durch 13.800 Transaktionen der örtlichen Bankfiliale insgesamt 1,4 Millionen Euro ausgezahlt. Der zwischenzeitlich in Konkurs gegangene Landgasthof Zur Post befindet sich heute in Besitz des W:O:A Veranstalters, der den Betrieb neu belebte und mit dem Untertitel Zum Wackinger versah.

 Da das Festival zum Glück schon vorbei ist, rechnen wir bei der Passage nicht mit allzu großen Schwierigkeiten. Kurz hinter Wacken überqueren wir den Nord-Ostsee-Kanal, die meistbefahrene künstliche Wasserstraße für Seeschiffe weltweit. Der 98,26 km lange und 160 m breite Kanal verbindet die Nordsee bei der Elbmündung mit der Ostsee an der Kieler Förde und verkürzt somit die Fahrstrecke um 460 km (250 NM). Die Schiffe müssen dabei eine Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h (8,1 kn) einhalten. Schiffe mit mehr als 8,5 m Tiefgang dürfen sogar nur 12 km/h (6,5 kn) fahren. Damit dauert eine Kanaldurchquerung 7–9 Stunden.

 Erbaut wurde der Kanal von 1887–1895, wobei der Betrieb 1895 zum 1. Juli aufgenommen wurde, noch unter dem Namen Kaiser-Wilhelm-Kanal. Der Bau kostete 156 Mio. Mark, überschritt damit, ungewöhnlich für solch ein großes Projekt, nicht die geplanten Kosten. Um den Kanal schiffbar zu halten werden jährlich 6,5 Mio m³ Nassschlick in Brunsbüttel ausgebaggert, im restlichen Kanal nochmal 100.000 m³ Erosionsmaterial. Da der Kanal bestehende Wege durchschneidet, sind Kanalquerungen, auch mit Fähren, grundsätzlich kostenlos. Wir überqueren den Kanal nahe Hochdonn, von wo wir einen schönen Blick auf die 1913–1920 erbaute Hochdonner Eisenbahnbrücke mit einer Durchfahrtshöhe von 42 m haben. Mit 2.218 m Länge ist sie die viertlängste Eisenbahnbrücke Deutschlands. Bekanntheit erlangte sie 1992 durch den Fäkalienprozess. Ein Anwohner unter der Brücke hatte geklagt, da regelmäßig Fäkalien aus den Plumpsklos der Bahnwagen in seinem Garten niedergingen. Die Bahn musste daraufhin allen Reisenden bis zur Einführung von Waggons mit geschlossenem Abwassersystem den Besuch der Toilette auf diesem Abschnitt untersagen.

 Hoffentlich ohne Fäkalien auf unserem Weg kommen wir nach Dithmarschen. Die historische Gegend liegt zwischen Nordsee, Eider, Elbe und Nord-Ostsee-Kanal. Im westlichen Teil der Küste besteht die Landschaft hier weitgehend aus Marschland, einer sich landeinwärts knapp über dem Meeresspiegel an Watt und Salzwiesen anschließenden Landschaftsform, die aus der Sedimentation von angeschwemmten Material entstanden ist. Sie ist in der Regel sehr fruchtbar, ganz im Gegensatz zur höher gelegenen Geest, die noch weiter landeinwärts liegt, und aus glazialen Sandablagerungen besteht. So ist z.B. die Lüneburger Heide eine der bekanntesten Geestlandschaften in Deutschland. 

 Wir setzen unseren Weg durch die Marsch fort und erreichen Sankt Michaelisdonn, mit 3.430 Einwohnern auf 3 m ü.NN gelegen. Hier lohnt ein Abstecher zum Spiekerberg, der eine für Dithmarscher Verhältnisse mit 33 m ü.NN ungewöhnlich hoch ist und somit eine gute Aussicht auf die gesamte Umgebung bietet, so auch auf das Wahrzeichen des Ortes, die Holländermühle Edda auf dem Mühlenberg. Von Sankt Michaelisdonn kann man auf einer 8 km langen, stillgelegten Eisenbahnstrecke mit der Fahrraddraisine nach Marne (5.690 Einwohner, 2 m ü. NN) fahren, dessen Ortsname aus dem Altsächsischen abgeleitet ist und Siedlung am hohen Ufer bedeutet. Von hier aus sind es nur noch wenige Kilometer bis zum Ziel der Etappe, Kaiser-Wilhelm-Koog. Das Land für die 338 Einwohner wurde der Nordsee durch Deichbau und Entwässerung abgenommen. Im fruchtbaren Marschland gedeihen Kohl, Karotten und Zuckerrüben. 1987 wurde hier der erste Windpark der BRD in Betrieb genommen. Durch sehr hohe Photovoltaiknutzung erreicht der Ort eine der höchsten Pro-Kopf-Einspeisequoten in Deutschland.

 Der nun folgende Ruhetag lädt dazu ein, das benachbarte Friedrichskoog mit seiner Seehundstation zu besuchen. Die 2.565 Einwohner leben hier auf Land, das sich natürlich in der Elbmündung entwickelte. Zunächst entstand die Dieksander Hallig – das heutige Friedrichskoog – schließlich der Dieksanderkoog mit umfangreichen Salzwiesen vor der Küste. Sie Salzwiesen zwisschen Hafen und Trischendamm erreichten 2001 eine Größe von 485 ha und waren bis zu 1,2 km breit. Die Hälfte der Fläche wird dabei intensiv beweidet, die andere Hälfte – aus Naturschutzgründen – nicht. Meerseitig schließt sich an die Salzwiesen sowie an die dem Hafen abgewandte Seite des Trischendammes das Wattgebiet Mittelplate an mit bis zu 12 km meerseitiger Ausdehnung an. Es reicht damit bis nach Trischen, einer 180 ha großen Insel vor der Dithmarscher Küste, die aus Gründen des Naturschutzes nicht betreten werden darf. Lediglich ein Vogelwart wohnt im Sommer auf der Insel.

 Auch Büsum ist einen Besuch wert, die heute 4.800 Einwohner leben auf einem Gebiet, das ursprünglich eine Insel mit mehreren Dörfern war. Landgewinnung infolge von Wurt- und Deichbau trugen zur Vergrößerung der Gemeinde in Richtung Norden bei und verbanden die ehemalige Insel 1585 mit dem Festland. Der Hafen ist dabei über das Prielsystem Piep mit dem Meer verbunden. Dabei sorgten Sturmfluten immer wieder für Verwüstungen und Landverluste. So ist der größere Südteil der Insel mittlerweile im Meer versunken.

 Der Fremdenverkehr begann hier 1818, als der Kirchspielvogt Claus Bruer als erster Pionier des Fremdenverkehrs – wahrscheinlich inspiriert durch ähnliche Pläne in Tönning, hier einen ersten Badekarren an den Strand stellte. 1836 wurden die sturm- und flutgefährdeten Badekarren dann durch feste Badehäuschen ersetzt, und seit 1837 bezeichnet sich die Gemeinde als Nordseebad.