Wismar - Bad Segeberg

 

Nach zuletzt zwei längeren Tagen gibt es am heutigen und am morgigen Tag wieder die Möglichkeit, sich etwas auszuruhen. Die heutige Etappe verläuft dabei über 106 km fast ausschließlich flach an der Küste entlang. Von Wismar aus folgen wir ungefähr der Küstenlinie der Ostsee. Diese ist mit 412.000 km² das größte Brackwassermeer der Erde. Sie entstand erst vor 12.000 Jahren beim Abschmelzen der Gletschermassen der Weichseleiszeit. Der Salzgehalt ist sehr gering und liegt zwischen 1,9 % im Westen und nur 0,3–0,5 % im Osten. Da das Bodenprofil der Ostsee aus Becken und Schwellen besteht, tritt dieser Übergang aber nicht kontinuierlich auf, der Salzgehalt fällt vielmehr in Stufen ab. So zum Beispiel an der Darßer Schwelle nördlich von Rostock, wo westlich ein Salzgehalt von 1,7 % vorliegt, wohingegen sich östlich davon nur noch 0,8 % finden – hier gilt die Ostsee als reines Brackwassermeer. Ebbe und Flut spielen an der Ostsee mit einem Tidenhub von nur 5 cm keine Rolle.

 Vom Klimawandel ist die Ostsee in besonderem Maße betroffen, da sich die Region übermäßig erwärmt, und zwar um 0,85°C im Vergleich zu 0,75°C im weltweiten Vergleich. Zusätzlich sind durch erhöhte Einträge von Phosphor und Stickstoff und dem daraus resultierenden Algenwachstum 70.000 km² der Ostsee aufgrund von Sauerstoffmangel lebensfeindliche Gebiete.

 Nichtsdestotrotz ist die Ostsee auch ein beliebtes Urlaubsziel, insbesondere die zahlreichen Ostseebäder entlang der Küste. Eines davon, Ostseebad Boltenhagen, erreichen wir nach 25 km. In dem kleinen Ort leben nur 2.500 Einwohner ständig, saisonal können es aber bis zu 30.000 Menschen sein, für die eine auf die Tourismussaison ausgerichtete Infrastruktur bereitgehalten wird. Die Tourismusgeschichte reicht dabei bis 1803 zurück, als Kegel-Westphal von Hufe V. einen Badekarren zum Strand brachte und damit den Badebetrieb eröffnete. Damit nimmt Boltenhagen für sich in Anspruch, das zweitälteste Seebad Mecklenburgs zu sein. Ab ungefähr 1830 avancierte Boltenhagen dann von einem Fischer- und Bauerndorf zu einem der in der Folgezeit bedeutendsten Ostseebäder. Den Titel Ostseebad erhielt der Ort dann 1929.

 Die Nahe Boltenhagen gelegene Halbinsel Tarnewitz mit dem Tarnewitzer Huk und dem daneben angelegten Fischereihafen wurde in den 1930er Jahren dann vom Reichsarbeitsdienst auf den festlandnahen Resten der ehemaligen Halbinsel Lieps aufgespült. Das so befestigte Gelände diente dann bis 1945 als militärischer Versuchsflughafen zur Erprobung von Flugzeugbordwaffen. Nachdem Krieg diente das Gelände dann zunächst der NVA und nach der Wende der Bundeswehr, die sich jedoch bald zurückzog. Nachdem alle früheren Gebäude abgerissen wurden, wurde das Gelände zu einer Marina mit Hotelanlage und Badestrand umgebaut.

 Wir halten es wohl mit Fritz Reuter, der 1855 das erste Mal Boltenhagen besuchte und in Folge bis in die 1860er Jahre regelmäßig hier zu Besuch war. Er schrieb: „Wer mal sin Nerven will upfrischen, wer mal sin Sorgen möchte wegwischen, wer plägen will sinen Magen, die führt getrost nach Boltenhagen!“

 Nachdem wir also unsere Nerven aufgefrischt und bestimmt auch in der Ostsee baden waren, setzen wir unsere Fahrt direkt entlang der Küste auf dem Ostseeradweg fort, bis wir nach 50 km Travemünde erreichen. Mit 13.534 Einwohnern heute ein Stadtteil von Lübeck ist Travemünde dennoch ein vielen geläufiger Name. So steht hier der älteste erhaltene Leuchtturm Deutschlands aus dem Jahre 1539. Da der 31 m hohe Turm durch das in den 1070er Jahren erbaute Maritim-Hochhaus verdeckt wird, ist er heute außer Betrieb und beherbergt ein maritimes Museum für Leuchtfeuertechnik. Das 119 m hohe Maritim-Hochhaus, höchstes Gebäude Schleswig-Holsteins, beherbergt dafür nun das Leuchtfeuer in 115 m Höhe, was eines der höchsten Leuchtfeuer Europas ist. Für den Tourismus bedeutsam ist der feine 1,7 km lange Sandstrand. Sehenswert ist ebenfalls die 1911 vom Stapel gelaufene Passat, eine Viermastbark die früher als Getreide- und Salpetertransporter diente. Das Schiff mit seinen 59 m hohen Masten kann dabei auf einen beeindruckenden Lebenslauf zurückblicken, hat es doch schon 39 Mal Kap Hoorn umsegelt sowie zwei Mal die ganze Erde. Der weitere Weg in Richtung Lübeck führt dann zunächst am Skandinavien-Kai vorbei, einem der wichtigsten deutschen Häfen für den Verkehr nach Finnland, Schweden, sowie ins Baltikum. Es geht weiter an der Traveförde, bestehend aus Untertrave, Pötenitzer Wiek, Dassower See entlang. Das mesohaline innere Küstengewässer an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern liegt im Mündungsbereich (Ästuar) von Trave und Stepenitz und weist durch häufiges Einströmen von Meerwasser einen niedrigen Salzgehalt auf.

 Nach wenigen Kilometern erreichen wir schließlich Lübeck. Mit seinen 216.250 Einwohnern gilt die auch „Stadt der Sieben Türme“ genannte Hansestadt als Königin sowie als Mutter der Hanse. Aufgrund der Geschichte als Seefahrerstadt ist auch die Bezeichnung Tor zum Norden häufig anzutreffen. Gegründet wurde Lübeck dabei zwischen 748 und 814 als Liubice von den Slawen. Der ursprüngliche Name bedeutet dabei lieblich und wurde nach Verdrängung der Slawen durch die Sachsen und der damit einhergehenden Sprachentwicklung zu Lübeck. Als Lubeke wurde die Stadt so dann 1143 von Adolf II., Graf von Schauenburg und Holstein, als erste deutsche Hafenstadt an der Ostsee neu gegründet. Die auf einer Insel in der Trave gelegene Altstadt ist seit 1987 UNESCO-Weltkulturerbe, wodurch zum ersten Mal in der Geschichte eine ganze Altstadt in Nordeuropa diesen Status erhielt. Wahrzeichen ist insbesondere das Holstentor, dennoch ist die gesamte Altstadt mit ihrer alten Bausubstanz aus der Hansezeit sehenswert.

 „[…] Lübeck war die geborene Königin der Hanse: durch Lage und Geschichte. Lübeck war von Anfang an Herz und Hirn der Städte […]; sein Pulsschlag durchströmte alle, und sein Geist formte ihr Denken – in Lübeck wurde die Hanse am meisten vorgedacht.“

 In Lübeck verlassen wir dann die Ostsee und fahren landeinwärts durch die Holsteinische Landschaft bis zu unserem Tagesziel, Bad Segeberg. Auf 44 m ü.NN gelegen, handelt es sich bei der Region um das einzige Karstgebiet Schleswig-Holsteins. Inmitten der 17.180 Einwohnerstadt liegt der Kalkberg mit seiner 1912 entdeckten Kalkberghöhle. In dieser wurde der bisher nur hier nachgewiesene Segeberger Höhlenkäfer Choleva septentrionis holsatica entdeckt. Heute gibt es Führungen durch die Höhle. Auf dem Felsen wurden durch Knud Lavard 1128 Unterkünfte (mansiunculas) auf dem Berg angelegt, in der Absicht, dort später eine Burg zu errichten. Diese wurde aber schon 1130 im Auftrag Adolfs I. von Schauenbugrg und Holstein wieder beseitigt. Kurz darauf machte jedoch der Mönch Vizelin Kaiser Lothar auf die strategische Bedeutung des Kalkbergs aufmerksam, der daraufhin 1134 eine erste Burg, die Siegesburg, darauf errichten lies. Diese bestand bis Ende des Dreißigjährigen Krieges, als sie 1944 von den Schweden durch Brandschatzung zerstört wurde. Anschließend wurde damit begonnen, vom Gipfel des Berges Gips abzubauen, der u.a. beim Bau des Lübecker Doms und der Segeberger Marienkirche Verwendung fand. Dadurch schwand die Höhe des Berges von einst über 110 Metern auf seine heutigen 91 Meter. Als die Bedeutung des des Gipfels als beliebter Aussichtspunkt für den wachsenden Fremdenverkehr ins Bewusstsein rückte, wurde der Gipsabbau schließlich begrenzt. Bad Segeberg besitzt mit der Schleswig-Holsteinischen Imkerschule eine der ältesten Imkerschulen Deutschlands.

 

Und da Komoot den Transfer durch den Herrentunnel in Lübeck nicht darstellen kann, gibts heute zwei Routenlinks: