Hameln - Schierke

 

Bereits am gestrigen Tag haben wir die Norddeutsche Tieflandsbucht verlassen, doch da wir fast kontinuierlich der Weser gefolgt sind, haben wir dies noch nicht an den Höhenmetern gemerkt. Das ändert sich heute, da wir von Hameln in östlicher Richtung fahren und somit die hauptsächlich von Süd nach Nord verlaufenden Täler queren. Und am Ende der Etappe wartet noch ein langer Anstieg hinauf nach Schierke mitten in den Nationalpark Harz hinein. Damit beginnt für uns die Woche der Wahrheit, sechs teilweise sehr schwere Etappen hintereinander, auf denen wir wenig verschnaufen können. Von Hameln aus erreichen wir zunächst den Höhenzug des Ith, der zum Leinebergland gehört. Der Ith ist mit 22 km Länge der längste norddeutsche Klippenzug und weist zahlreiche markante Fels- und Klippenformationen auf. Das Leinebergland ist ein bis zu 480 m ü.NN hohes Gebirge beidseits der Leine zwischen Göttingen und Gronau, wo es in das Norddeutsche Tiefland übergeht. Nördlich von Einbeck wird es auch Alfelder Bergland genannt.

 Wir überqueren bei Kilometer 35 bei Gronau die Leine, einen 280 km langen linken Nebenfluss der Aller, der unter anderem Göttingen und Hannover durchfließt, und erreichen bald das Innerstebergland, ein 900 km² großes, bis 359 m ü.NN hohes Bergland das sich östlich an das Alfelder Bergland anschließt. Benannt nach dem Fluss Innerste, finden sich hier stark mit Buchen bewaldete Höhenzüge sowie lössbedeckte, fruchtbare Niederungen. Wir fahren südlich des Hildesheimer Walds und erreichen das Ambergau mit seinem Hauptort, Bockenem. Das ca. 10 x 10 km große Becken besitzt fruchtbaren Ackerboden und ist umgeben von den Saubergen und den Hainbergen (nördlich) sowie der Harplage (südlich). Bockenem mit seinen 9.660 Einwohnern und seiner gut erhaltenen Fachwerkstadt lädt zum Verweilen ein. Während die Stadt heute keine große Bedeutung hat, war es im Hochmittelalter ein wichtiges Zentrum im Ambergau, verlor aber nach Ende des Mittelalters immer weiter an Bedeutnung. Hinter Bockenem überqueren wir die 70 m hohe Schichtstufe des Lutterer Sattels und erreich Lutter am Barenberge. Hier schwenken wir südöstlich auf den Harz ein, dessen Rand wir mit der Stadt Goslar nach 90 km erreichen.

 Goslar, auf 255 m ü.NN gelegen, ist mit 50.780 Einwohnern die größte Stadt am Harz. Bedeutung hat die Region bereits seit der Römerzeit, als im Harz Erz abgebaut wurde und in den umliegenden Siedlungen zu Metall verarbeitet wurde. Im 10. Jahrhundert entstand schließlich Goslar aus mehreren Siedlungen am Flüsschen Gose. Die erste urkundliche Erwähnung reicht ins Jahr 979 zurück, bereits ab 1025 hatte Goslar das Stadtrecht inne. Bedeutung hatte hier vor allem die Gewinnung von Kupfer und Silber, seit dem 13. Jahrhundert aber auch der Bierexport. Goslar ist dabei Heimat einer eigenen Biersorte, der Gose, deren Name wohl auf das Flüsschen zurückgeht, aus dem das Brauwasser genommen wurde. Gose ist ein obergäriges Bier, das aufgrund zusätzlicher Milchsäuregärung einen leicht säuerlichen Geschmack aufweist, eine Eigenart ist der Zusatz von Salz und Koriander. Im Mittelalter fand die Gose vor allem in der Gegend um Leipzig, Halle und Dessau Verbreitung. Wir werden einen Stopp im Goslarer Brauhaus einlegen, um ein Gläschen Gose zu genießen und uns dazu mit Hackus und Knieste stärken.

 In der ehemaligen Hansestadt (1267–1566) lohnt sich danach noch ein Rundgang durch die historische Altstadt, die zusammen mit dem 1988 stillgelegten Erzbergwerk Rammelsberg seit 1992 UNESCO-Weltkulturerbe ist. Das Bergwerk wurde dank Bestrebungen einzelner Bürger und der Denkmalschutzbehörden originalgetreu erhalten und dient heute als Museum.

 Von Goslar aus fahren wir nun entweder am Harzrand ostwärts, oder aber wir schlagen einen kleinen Bogen nordöstlich über Vienenburg, wo sich das Kloster Wöltingerode befindet. Im 12. Jahrhundert gegründet, finden sich heute noch viele erhaltene Gebäude aus den vergangenen Jahrhunderten. Das angeschlossene Klosterrestaurant lädt zum Speisen ein und in der Klostereigenen Brennerei wird nach Jahrhunderte altem Rezept noch heute Korn gebrannt, der teilweise mit Kräutern und Fruchtaromen zu Likör weiterverarbeitet wird. Vielleicht lässt sich ja hier ein besonders guter Tropfen in den Rucksack packen, der uns zur Aufheiterung dient, wenn wir einmal traurig sind auf unserem weiteren Weg.

 Kurz vor Ilsenburg passieren wir dann zum zweiten Mal auf der Tour die Grenze zur ehemaligen DDR, diesmal erreichen wir das Bundesland Sachsen-Anhalt. Dort liegt das beschauliche Wernigerode. Die 33.100 Einwohner leben auf ca. 240 m ü.NN im Nordosten, und damit auf der Leeseite des Harzes. Durch Regenschatten und Föhneffekt ist die Gegend hier trockener und wärmer als vergleichbare Regionen. 1121 erstmals erwähnt, besitzt Wernigerode seit 1229 Stadtrecht. Der früher von Stadtmauer umschlossene Teil der Stadt heißt Altstadt, nachdem Ackerbürger außerhalb der Stadtmauern Siedlungen angelegt haben, wurde dieser Teil als Neustadt bezeichnet. Sehenswert ist neben der historischen Altstadt auch das Schloss Wernigerode auf einer Anhöhe ca. 100 m über der Stadt. Seine jetzige Gestalt erhielt es Ende des 19. Jahrhunderts, heute beherbergt es ein Museum.

 Wernigerode war eigentlich als ursprüngliches Etappenziel geplant, doch sollten wir heute noch Lust, Beine und Zeit haben, würde es sich anbieten, von Wernigerode aus die 16 km nach Schierke hinauf zu fahren. Das Dorf mit seinen 713 Einwohnern ist die letzte Ortschaft vor dem Brockengipfel und liegt auf 617 m ü.NN. Hier können wir den Abend im Grünen verbringen und frisches Wild aus dem Harz sowie als Abschluss einen Schierker Feuerstein genießen, einen Kräuterlikör der 1924 erfunden wurde.