Hann. Münden - Willingen

Nachdem wir gestern bereits das Dach der Tour überquert haben, wartet heute eine wohl eine der härtesten Etappen auf uns. Durch das Nordhessische Bergland bahnen wir uns den Weg in Richtung Sauerland, wobei wir auf 114 km 1.600 Höhenmeter absolvieren müssen. Zum Einrollen starten wir aber zunächst an der Fulda, der wir bis Kassel folgen, das wir bereits nach 30 km erreichen. Die Großstadt mit 198.000 Einwohnern liegt auf 167 m ü.NN an der Fulda und wurde bereits 913 als Königshof Chassalla (später Cassel, ab 1926 Kassel) in Urkunden genannt. Allerdings geht man davon aus, dass es bereits zu vorchristlicher Zeit Siedlungen in den Flussniederungen der Fulda, dem Kasseler Becken, gab. 1189 wurde das Stadtrecht erteilt und 1277 wurde Kassel Hauptresidenz des ersten hessischen Landgrafen Heinrich I. in der neu geschaffenen Landgrafenschaft Hessen. Das Bild von Kassel wurde dann ganz besonders von Landgraf Karl um 1700 geprägt, als er unter anderem die Karlsaue, eine innerstädtische Parkanlage oder den Bergpark Wilhelmshöhe mit der Herkulesstatue errichten ließ. Die Wilhelmshöhe, mit Schloss Wilhelmshöhe, Löwenburg und Herkules seit 2013 UNESCO-Weltkulturerbe, ist dabei mit 2,4 km² der größte angelegte Bergpark Europas. Seine Höhe liegt zwischen etwa 280 und 520 m ü.NN. Die heutigen Ausmaße erreichte die Wilhelmshöhe aber erst nach der Erweiterung, die Landgraf Wilhelm IX. ab 1785 vornehmen ließ. In den folgenden Jahren wandelte sich der Park noch allmählich und war ab und zu als Residenz der Herrscher in Benutzung, unter anderem ab 1899 durch Wilhelm II. Im Laufe dieser Jahrhunderte wandelte Kassel sich dann von einer Residenz- zu einer Industriestadt. Besonders bekannte Söhne der Stadt sind die Gebrüder Grimm, die hier geboren wurden. Bemerkenswert ist auch die dichteste Waschbärenbesiedlung Europas. Die Besiedlungsdichte der possierlichen Tierchen liegt sogar noch höher als in ihrer Herkunft in Nordamerika. Für unsere kulinarische Tour besonders wichtig: Das Kasseler kommt nicht aus Kassel, seinen Namen hat es von einem Metzger Cassel, der es in Berlin erfunden hat. Dafür gibt es hier die Ahle Worschd, eine luftgetrocknete Dauerwurst, ähnlich einer Salami.

 Nachdem wir uns von Kassel aus die gut 400 Höhenmeter hinauf auf die Wilhelmshöhe geschuftet haben, durchqueren wir den Habbichtswald, einen Höhenzug westlich von Kassel, mitsamt seinem höchsten Berg, dem Hohen Gras. Der 615 m ü.NN gelegene Berg ist in nur 500 m von der Hauptstraße zu erreichen und bietet eine Waldgaststätte, einen Aussichtsturm mit einer 30 m hohen Plattform, sowie im Winter einen Skilift mit Skipiste und Rodelbahn. Da allerdings Ende Juli nicht mit Schnee zu rechnen ist, werden wir der Straße weiter folgen und erreichen nach ca. 62 km Naumburg (Hessen). Besonders sehenswert an der 5.080 Einwohnerstadt ist die historische Altstadt mit vielen Fachwerkhäusern. Damit hat die Häuser ein besseres Schicksal erreicht als die Burg des 1170 ersterwähnten Ortes, diese ist nämlich bereits 1626 abgebrannt und wurde nicht wieder aufgebaut.

 Von Naumburg aus durchqueren wir den langen Wald, was uns nochmal von 290 auf 450 m ü.NN bringt, nach der folgenden Abfahrt erreichen wir den Ederseebahnradweg. Dieser führt auf ca. 26 km auf der Trasse der früheren Ederseebahn vom Edersee nach Korbach, die Kosten für den von 2007–2012 erfolgten Umbau betrugen ca. 10 Millionen Euro. Dabei werden viele Bauwerke der alten Bahn, wie Tunnel oder Brücken, benutzt, unter anderem das Selbacher Viadukt, eine 193 m lange, 28 m hohe, siebenbogige Brücke. Den Ausgangspunkt der Strecke, den Edersee, werden wir wohl aufgrund der ohnehin schweren Etappe links liegen lassen müssen, auch wenn sich ein Ausflug dorthin lohnen würde – immerhin ist es der flächenmäßig zweit- und volumenmäßig drittgrößter Stausee Deutschlands. Gelegen am Fulda-Zufluss Eder dient er vor allem der Wasserbereitstellung für Oberweser- und Mittellandkanal. Gebaut wurde er von 1908–1914, 1943 wurde er durch eine Rollbombe zerstört, woraufhin sich eine 6–8 Meter hohe Flutwelle bis zu 30 km talabwärts ergoss. Dies führte zu ca. 50–70 Todesopfern. Südlich an den See schließt sich der Nationalpark Kellerwald-Edersee mit einem Teil des UNESCO Weltnaturerbes Buchenurwälder an.

 Nach ca. 90 km erreichen wir dann Korbach auf 384 m ü.NN. Die Stadt mit ihren 23.520 Einwohnern liegt am Nordostrand des Rheinischen Schiefergebirges, einem Mittelgebirge, das wir in den nächsten Tag aus vielen Blickwinkeln kennen lernen werden. Hier befinden wir uns zunächst im Waldeckschen Upland. Korbach trat im Jahre 1469 dem Hansebund bei und war damit eine der südlichsten Städte der Hanse und ist die einzige im heutigen Hessen. Sehenswert ist hier auch die Korbacher Spalte, eine 20 m tiefe und bis zu 4 m breite verfüllte Spalte im Kalkstein eines ehemaligen Steinbruchs. Sie gilt als eine der weltweit bedeutendsten Fundstätten für Fossilien aus der Permzeit. Unter anderem ist hier der einzige Fundort des Procynosuchus (Vor-Hundekrokodil) auf der Nordhalbkugel, auch Korbacher Dackel genannt. Die Tatsache, dass diese Gattung sonst nur in Südafrika und Sambia gefunden wurde untermauert die Existenz des Superkontinents Pangäa.

 Von Korbach aus bahnen wir uns weiter den Weg ins Sauerland, bis wir am Ende der Etappe Willingen erreichen. Der Ort mit gerade mal 6.070 Einwohner, gelegen auf 550 m ü.NN, ist ein bedeutender Wintersportort im Sauerland. Die erste Erwähnung geht auf das Jahr 1380 zurück, die schwierigen klimatischen Bedingungen des Uplandes (plattdeutsch für Ober- oder Hochland) ließen die Besiedlung hier nur langsam entstehen. Diese Schwierigkeiten lassen sich auch an den traditionellen Gerichten ablesen, die eher einfach gehalten sind, wie zum Beispiel die Potthucke („was im Topf hockt“), eine Kartoffelgericht mit Eiern und Sahne, teilweise Zwiebeln und Mettwurst, gereicht mit Schwarzbrot und Rübenkraut, das gerne am Boden des Gefäßes festbackt. Aufgrund des später einsetzenden Tourismus gibt es dann doch einige erwähnenswerte Bauwerke: So ist die Mühlenkopfschanze, 1951 erbaut und 2006 umfassend renoviert, mit einem K-Punkt von 130 m und einem Hillsize von 145 m die größte Skisprungschanze (also nicht Flugschanze) der Welt. Der Viadukt der Eisenbahn Wabern – Brilon Wald, immerhin 294 m lang und 1914–1917 erbaut wird noch heute von Eisenbahnzügen überquert. Ebenfalls sehenswert ist der Hochheideturm auf dem Ettelsberg, ein 59 m hoher Aussichtsturm, der mit seiner aussichtsplattform auf 875 m ü.NN den höchsten begehbaren Punkt des Sauerlands aufweist. An einer Seite ist außerdem die höchste künstliche Kletterwand Europas angebracht. Zu erreichen ist der Turm mit der Ettelsberg-Seilbahn aus Willingen.