Willingen - Hagen

 

Nach den letzten beiden sehr schweren Etappen haben wir heute wieder die Möglichkeit, etwas zu regenerieren, denn auf der heutigen, 118 km langen Etappe folgt der Weg unaufhörlich der Ruhr abwärts. Der 219 km lange, rechte Nebenfluss des Rheins entspringt dem Rothaargebirge und gibt der größten Agglomeration Deutschlands, dem Ruhrgebiet, seinen Namen. In dessen Herzen, bei Duisburg, mündet er in den Vater Rhein. Für das Ruhrgebiet ist er zur Trink- und Brauchwasserversorgung sowie Energiegewinnung unerlässlich. Zeitweilig war die Ruhr die meistbefahrene Wasserstraße Deutschlands. Auf weiten Abschnitten wird der Fluss links und rechts vom Rheinischen Schiefergebirge begrenzt, und so schlängeln auch wir uns durch das durchschnittlich 500 m hohe Mittelgebirge. Seinen Namen hat das Rheinische Schiefergebirge 1815 von Karl Georg von Raumer erhalten, der verlauten lies:

 „Die weitverbreiteten Tonschiefer haben dem Rheinischen Schiefergebirge zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Namen gegeben, wobei die Vorkommen in der Eifel eine entscheidende Rolle gespielt haben: Schiefer herrscht hier vor allen anderen Gesteinen in unserem Gebirge, welches ich deshalb nach ihm benenne.“

 Dabei sind die Vorkommen von Schiefer nur eingeschränkt im Moselgebiet, am Unterlauf des Rheins, dem Bergischen Land oder des Siegerlandes aufgeschlossen, die Hauptmasse der Gesteine im Schiefergebirge sind geschieferte sandige Tonsteine, Sandsteine, Grauwacken und Taunusquarzit. Vulkanische Gesteine wie Basalt, Tuffstein und Bims sind in der Vulkaneifel, im Siebengebirge und im Westerwald weiter verbreitet. Aber das kann man dem alten Georg nachsehen. Es entstand vor 299 bis 419 Mio. Jahren als Teil der variszischen Orogenese und liegt im sogenannten Rhenoherzynikum. Es wird von gleich mehreren Flüsse, dem Rhein, der Mosel und der Lahn, in verschiedene Mittelgebirgsregionen unterteilt. Links des Rheins und nördlich der Mosel befindet sich die schöne Eifel, südlich der Mosel der Hunsrück. Auf der rechten Seite des Rheins sind nördlich der Lahn das Sauerland, das Bergische Land und der Westerwald zu finden, wohingegen sich südlich der Lahn der Taunus ausbreitet.

 Vorerst erreichen wir von Osten her das Sauerland im nordöstlichen Teil des Schiefergebirges. Es ist ca. 4.400 km² groß und etwa 882.500 Menschen leben hier, im östlichen Westfalen und Hessen. Damit ist das Sauerland dünn besiedelt, aber dafür reich an Wald und Stauseen. Wirtschaftlich war es daher schon immer geprägt von Wald- und Ackerlandschaft, Erzbergbau sowie Metallindustrie. Heute lebt die Region von der mittelständigen Industrie und dem Tourismus. Die vielen Stauseen decken den Durst des Ruhrgebietes nach Industrie- und Trinkwasser und bieten zusammen mit den Buchen- und Fichtenwäldern, sowie den  besonderen klimatischen Bedingungen der Höhenlagen viel Erholung für Besucher, die auch gerne aus den Niederlanden anreisen. Und wenn es mal etwas geselliger zugehen soll, erfreuen sich die Menschen hier an ihren Schützenfesten und, vor allem in den ehemals kurkölnischen Gebieten, am Karneval. Ob sie dabei ihre unterschiedliche Gesinnung stört, wissen wir nicht. Denn südlich der Möhne lag früher das katholisch geprägte Herzogtum Westfalen und heute noch liegt im Hochsauerlandkreis das katholische Zentrum Westfalens. Wohingegen südlich der Ruhr, in der ehemaligen Grafschaft Mark, sich seit 1530 die Reformation verbreitete. Daher bekennen sich die meisten Menschen im Märkischen Kreis heute zum Evangelismus. Die Sprache von früher, das Sauerländer Platt wird jedoch, leider, nur noch von den wirklich alten gesprochen. Allerdings konnte sich die hochdeutsche Umgangssprache im Sauerland noch etwas von seinen plattdeutschen Elementen behalten, wie der westfälischen Refrainfrage „wollnich?“.

 Die höchsten Erhebungen des Sauerlandes befinden sich im Rothaargebirge, dessen Name noch weniger mit roten Haaren zu tun hat, als das Rheinische Schiefergebirge hauptsächlich aus Schiefer besteht. Der Name  kommt von Rod-Hardt-Gebirge, heißt soviel wie Gerodetes-Wald-Gebirge. Mit bis  zu 843 m ü.NN bildet es den  Höhenschwerpunkt des Sauerlandes und ist das  höchstgelegene und schneereichstes Teilgebirge des Rheinischen Schiefergebirges. Sein höchster Berg ist der Langenberg, welcher zugleich der höchster Berg Nordrhein-Westfalens ist. Durchqueren kann man das Gebirge über den Rothaarsteig, einen 154 km langen Höhenwanderweg. Hat man Glück trifft man hier in den Wäldern auf, frei lebende Wisente in den Wäldern

 Auf der Reise entlang der Ruhr durch das Sauerland erreichen wir Meschede nach 40 km und Arnsberg nach 55 km, bevor wir nach Hagen kommen. Meschede entstand im 8.-9. Jahrhundert mit der Errichtung der Hünenburg, welche man heute am Stadtrand Meschedes wiederfindet.  Sie ist mit 30.120 Einwohnern auf 260 m ü.NN die deutlich kleinere, aber vielleicht auch glücklichere Stadt im Vergleich zu Arnsberg mit 73.790 Einwohnern auf 200 m ü.NN, denn die, von der großen Ruhrschleife umschlossene Stadt, musste viele Verluste und Katastrophen erleiden. Arnsberg hatte im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nur wenige hundert Einwohner. Die Bevölkerung wuchs nur langsam und ging durch die zahlreichen Kriege, Seuchen und Hungersnöte immer wieder zurück. 789 wird sie das erste Mal urkundlich erwähnt erhält 1100 durch den Grafen von Werl-Arnsberg die Burg Arnsberg. 1472 und 1635/36 wütete die Pest in der Gemeinde und 1600 zerstörte ein Brand die gesamte Stadt bis auf 11 Häuser. 1762 wird während des Siebenjährigen Krieges die Burg Arnsberg zerstört und ist seither nur noch eine Ruine. Schließlich wurde 1943 der Stadtteil Neheim schwer von der Flut der zerstörten Möhnetalsperre getroffen und hatte viele Tote zu betrauern. Zudem wütete. Seit der Industrialisierung wächst die Bevölkerungszahl und hatte ihren Höhepunkt 1974 mit 81.050 Einwohner. Ganz anders als Meschede und Arnsberg ist Hagen auf 106 m ü.NN eine Großstadt mit 189.040 Einwohnern. Sie wird als „Tor zum Sauerland“ bezeichnet und rühmt sich mit der einzigen staatlichen Fernuniversität Deutschlands. Lange Zeit war das Dorf und Kirchspiel Hagen sehr unbedeutend in der Region, im Gegensatz zu den märkischen Städten wie Iserlohn oder Limburg. Das änderte sich 1661 mit der Gründung der Langen Riege. Sie wird als die „älteste Arbeitersiedlung Westfalens“ gehandelt und entstand als  Solinger Klingenschmiede sich nach dem 30-jährigen Krieg hier ansiedelten und von Kurfürst Friedrich Wilhelm zu Brandenburg das Privilegium der alleinigen Herstellung von Schwert- und Degenklingen in Preußen erhielten. Dabei war der Kurfürst so großzügig die Wohnungen und Werkstätten für die Familien der Schmiede selbst zu bezahlen. Die vielen Fachwerkhäuser reihen sich in einer lange Reihe aneinander und wurden so namens gebend für die Siedlung. 1724 wurden Hagen durch einen Brand zum Großteil zerstört, doch konnte im Kaiserreich zwischen 1871 und 1914 durch die  Industrialisierung und Urbanisierung regelrecht aufblühen, bis in den 1970er Jahren die  Stahlkrise einsetzte. Im Gegensatz zu seinen nördlichen Nachbarn wie Dortmund, Witten und Bochum im Herzen des Ruhrgebietes konnte sich Hagen jedoch gut behaupten. Die mittlere Arbeitslosigkeit liegt bis heute bei 3 %.Von Hagen werden wir gemütlich in den Zug steigen, um mitten in das Ruhrgebiet, nach Bochum, zu kommen.

 Pott oder Revier. So wird das 4435 km² große Ruhrgebiet, welches sich im Schnittpunkt der Westfälischen Tieflandebene, der Niederrheinischen Ebene und des Rheinischen Schiefergebirges befindet, auch genannt. Und das hat seine Gründe. Wie in einem großen Topf sind hier viele Großstädte miteinander verwachsen. In diesem größten Ballungsraum Deutschlands, in dem 38% der Fläche bebaut sind, leben 5,1 Mio. Menschen. Das war jedoch nicht immer so. Ende des 18. Jahrhunderts ähnelte das Ruhrgebiet dem Münsterland und dem Niederrhein: einzelne Städte, einige Hansestädte, sowie landwirtschaftlich geprägte Dörfer bestimmten das Bild. Damals nahm die bewaldete Fläche noch deutlich mehr als 18% ein und   Dortmund und Duisburg hatten jeweils nur ca. 5000 Einwohner. Aber dann kamen 1750 die ersten Eisenhütten und später der Bergbau. Innerhalb von 100 Jahren gründeten sich 300 Zechen und die Menschen strömten zum arbeiten in die Region. Noch einmal 100 Jahre später war es dann zu viel: zu viel Kohle. Die Zölle auf Erdöl wurden abgeschafft und der Bedarf nach Braunkohle und Atomkraft stieg. Die teure deutsche Steinkohle wollte  plötzlich keiner mehr. 1998 gab es nur noch 11 Zechen und 2018 wird die letzte Zeche (Prosper Haniel in Bottrop) im Ruhrgebiet stillgelegt. Zur Kohlekrise kam dann ab 1973 auch noch die Stahlkrise, bedingt durch eine  Überproduktion und starke internationale Konkurrenz. Der Einbruch der Wirtschaft hatte einen enormen Strukturwandel in der Region zur Folge. Die  Arbeitslosigkeit stieg auf 10,8 % und es bildete sich ein Nord-Süd-Gefälle in der Bevölkerung. Der Norden ist arm mit einer signifikant niedriger liegenden Lebenserwartung, einer höheren Säuglingssterblichkeit, übergewichtigen Kindern, einer geringen Sprachkompetenz und schlechten gesundheitlichen Versorgung. Der Süden wohlhabend. Vor allem der  Fußball, mit vielen großen Vereinen wie Schalke 04 und dem BVB, aber auch viele Amateur- und Hobbymannschaften schaffen einen Zusammenhalt zwischen den Menschen im Ruhrgebiet. Mit dem Projekt RUHR.2010 konnte man sehen: das Ruhrgebiet ist eine europäische Kulturhauptstadt.

 Dabei ist gerade Bochum ein Vorreiter in Sachen Strukturwandel. Im Zentrum des mittleren Ruhrgebiets (hier leben 364.740 Menschen) wurde 1841 die erste Zeche gegründet und 1962 die erste Universität des Ruhrgebietes. Damit machte Bochum den ersten Schritt vom Produktions- zum Forschungsstandort. Viele weitere Universitäten folgten und heute ist das Ruhrgebiet eine Bildungsmetropole in Deutschland. Doch das neue Ruhrgebiet zeichnet sich nicht nur durch Forschung aus, sondern auch durch viel Kultur. Etwa die Zeche Zollverein in Essen, von 1851 bis 1986 ein aktives Steinkohlebergwerk, ist heute ein Architektur- und Industriedenkmal. Das UNESCO Welterbe beherbergt das  Besucherzentrum Ruhr, Veranstaltungen, das choreografische Zentrum NRW, den Kunstschacht Zollverein, das Phänomania-Erfahrungsfeld, Ausstellungsräume für Gegenwartskunst, sowie mehrere Restaurants und Cafés. Außerdem das neue Ruhrmuseum. Eine  Außenbesichtigung ist ständig möglich und für den Innenbereich werden Führungen angeboten. Schließlich ist Bochum auch für sein Nachtleben bekannt, denn es hat die höchste Kneipendichte Deutschlands. Auch wenn wir, müde vom Tag, nicht allzu spät die Fahrt zurück nach Hagen antreten sollten, werden wir dennoch einen Schritt in das Bochumer Kneipenviertel Bermuda3eck wagen.