St. Wendel - Neustadt a. d. Weinstraße

 

Ausruhen, ein wenig die Beine hochlegen, mal nicht so viel fahren – das werden wir uns wünschen. Doch bevor wir das am morgigen Tag tun können, müssen wir heute noch eine weitere bergige Etappe hinter uns bringen. Auf 100 Kilometern steht uns nämlich der Pfälzer Wald im Weg. Doch zunächst verlassen wir kurz hinter Sankt Wendel auch schon wieder das Saarland und durchqueren viele pfälzische Dörfer bevor wir nach gut der Hälfte der Tagesetappe auf 251 m ü.NN Kaiserslautern erreichen. Kaiserslautern ist eine Großstadt mit 100.570 Einwohnern. Doch zusätzlich zu den offiziellen Zahlen der Einwohnermeldeämter leben in Stadt und im Landkreis Kaiserslautern knapp 48.000 US-Amerikanische Soldaten und deren Angehörige, die in der Militärgemeinde Kaiserslautern organisiert sind. Sie arbeiten im Luftwaffenstützpunkt Ramstein Air Base in Ramstein-Miesenbach, etwa 10 km westlich von Kaiserslautern, sowie in weiteren Einrichtungen von US Army und US Air Force. Damit ist der Raum Kaiserslautern die größte amerikanische Siedlung außerhalb der USA. Die Kernstadt ist traditionell in Fünftel eingeteilt, die durch die Farben Blau (Südwesten), Weiß (Westen), Gelb (Nordwesten), Rot (Nordosten) und Grün (Südosten) gekennzeichnet wurden. Dies ist jedoch keine Idee der Amerikaner, sondern wurde durch die französische Besatzungsverwaltung an der Wende zum 19. Jahrhundert eingeführt. Entstanden ist die Stadt, weil ab dem 7. Jahrhundert durch Zuwachs der Bevölkerung Siedlungsraum auch abseits der Rheinebene gesucht wurde. Um 830 wurde die Villa Luthra im Lorscher Reichsurbar erstmals urkundlich erwähnt. Nach 1152 ließ Barbarossa hier eine Pfalz errichten, weshalb Kaiserslautern bis heute als Barbarossastadt gilt. 1276 erhielt sie die Stadtrechte. Nach 1850 entwickelte sich Kaiserslautern durch die Gründung von Einrichtungen wie der Kammgarnspinnerei und der Nähmaschinenfabrik Pfaff zum bedeutensten Industriestandort in der Pfalz.

 Nun liegt Kaiserslautern weit entfernt vom Wasser, sei es Fluss, See oder Küste, aber dennoch ziert das Wappen der Stadt ein Fisch. Hintergrund ist die Sage vom Hecht im Kaiserwoog. Es soll in einem See, dem Kaiserwoog, ein uralter, riesiger Hecht von 19 Schuh Länge (5,70 m) und 350 Pfund Gewicht gefangen worden sein, der einen Ring mit der griechischen Inschrift „ΕΙΜΙ ΕΚΕΙΝΟC ΙΧΘΥC Ο ΤΗΝ ΛΙΜΝΗΝ ΠΑΝΤΟΠΡΩΤΟC ΕΙΛΥΤΑ ΔΙΑ ΤΟΥ ΚΟCΜΕΤΟΡΟC ΦΕΔΗΡΙΚΟΥ ʹB ΤΑC ΧΕΙΡΑC ΕΝ ΤΗ ʹΕ ΗΜΕΡΑ ΤΟΥ ΟΚΤΟΒΡΙΟΥ ʹΑ ʹC ʹΛ.“ getragen habe. Der überlieferte Wortlaut besagt, dass Kaiser Friedrich II. den Hecht eigenhändig im Jahr 1230 – das heißt 267 Jahre zuvor – als ersten in den See gesetzt habe. Viel Wahres kann nicht dran sein, denn Kaiser Friedrich II. verbrachte den größten Teil seiner Regierungszeit in Sizilien und Süditalien. Er besitzt also, wenn man so will, ein Alibi für den Tatzeitpunkt. Und außerdem, wenn wir mal ehrlich sind, hat noch niemand einen Hecht dieser Größe gesehen.

 Direkt südöstlich von Kaiserslautern erhebt sich der Pfälzer Wald mit seinen 1589,4 km² und bis zu 673 m ü.NN Höhe.  Mit einem Waldanteil von 82-90 % bildet er das größte zusammenhängende Waldgebiet in Deutschland und nimmt ein gutes Drittel der Pfalz ein. Zusammen mit den sich anschließenden Vogesen bildet er einen Naturraum, der nach Norden und Osten scharf begrenzt ist. Und der Pfälzer Wald zeigt Charakter. Er ist gezeichnet von einem dichten, tief eingeschnittenen Talsystem und vielfältigen Bergformen. Er ist wasserreich und durch seine wasserdurchlässigen Sandböden können Niederschläge schnell abgeleitet und gespeichert werden. Dadurch haben auch Feuchtgebiete mit Mooren und Moorseen eine Chance neben typischen Buchen- und Eichenmischwälder. Kiefern wurden an nährstoffarme Flecken zurückgedrängt, allerdings im 18. und 19. Jahrhundert auf verwüstete Waldflächen wieder aufgeforstet. Heute bemüht man sich den naturnahen Mischwald wiederherzustellen. Der Wald unterlag von jeher der Gestaltung durch den Menschen und hat immer auch Einfluss auf das Wohl dieser Menschen. Unter den Franken im 7. - 10. Jahrhundert erreichten die Menschen noch lediglich die Randbereiche des Gebirges. Im Hochmittelalter kam es dann durch den wachsenden Bevölkerungsdruck und durch Initiativen von Adel und Kirchen zur Kolonialisierung des Mittelgebirgsraumes mit dem daraus folgenden Raubbau des Waldes. Diese Entwicklung fand im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit (bis 18. Jahrhundert) ihr Ende, da Seuchen und Hungersnöte zu einem deutlichen Rückgang der Bevölkerung führten und die Gesamtzahl der Ansiedlungen stark zurückging. Durch die Einwanderung von Siedlern aus Tirol und Schwaben oder durch die Aufnahme von Glaubensflüchtlingen aus der Schweiz, Frankreich und Holland kam es dann ab dem Ende des 18. Jahrhunderts zu einem erneuten starken Bevölkerungswachstum. Diese Entwicklung brachte allerdings mit sich, dass die Ressourcen der Mittelgebirgslandschaft rasch erschöpft waren und Überbevölkerung und Armut insbesondere im 19. Jahrhundert zu verstärkter Auswanderung in die Neue Welt führten. So kann man an der Geschichte der Menschen im Pfälzer Wald wunderbar sehen, wie wichtig es ist sorgsam mit der Natur und ihren Gaben umzugehen.

 Geschmückt ist der Pfälzer Wald mit vielerlei Schlössern und Burgen, wie die Reichsburg Trifels oder dem Hambacher Schloss. Das Hambacher Schloss, gelegen im Osten des Pfälzer Waldes, wurde im 11. Jahrhundert als als Schutz- und Raubritterburg errichtet und beherrschte die sich bei Neustadt kreuzenden Handelswege. 1552 wurde die Burg niedergebrannt, danach notdürftig wieder aufgebaut, um 1688 im Pfälzischen Erbfolgekrieg von den Franzosen erneut niedergebrannt zu werden. Nach dem Wiener Kongress fiel die Burgruine an Bayern. Zu dieser Zeit war die pfälzische Bevölkerung sehr unzufrieden auf Grund von Repressionsmaßnahmen der bayerischen Verwaltung. Diese hatte in den Jahren nach 1816 wichtige Errungenschaften zurückgenommen, die dem Volk in der Zeit der Besatzung durch Frankreich gewährt worden waren. Nachdem die bayerische Obrigkeit eine strenge Zensur eingeführt und politische Kundgebungen verboten hatte, fand 1832 eine sechstägige Protestveranstaltung mit 30.000 Menschen unter dem Deckmantel eines „Volksfestes“ - dem „Hambacher Fest“ - statt. Aus diesem Grund gilt das Hambacher Schloss neben der Frankfurter Paulskirche als wichtigstes Symbol der deutschen Demokratiebewegung. 1844 wurde das Schloss teilweise wieder aufgebaut und 1980-1982 restauriert. Heute befinden sich darin ein Museum und eine Tagungsstätte.

 Sollten wir heute gute Beine und noch etwas Lust haben, wäre es sicher lohnenswert noch einen Abstecher über die Totenkopfstraße zu machen, eine Passstraße durch den Pfälzer Wald mit einer maximalen Höhe von 514 m. ü. NN. Für ganze mutige bietet sich noch die Fahrt auf den Kalmit, den höchsten Berg des Pfälzer Walds, mit einer tollen Aussicht auf die Oberrheinische Tiefebene an. Dieser Umweg bringt allerdings noch einmal 500 Höhenmeter mit sich, die allerdings – mit dem leichten morgigen Tag im Hinterkopf – durchaus machbar erscheinen.

 Hinter dem Pfälzer Wald wird das Land platt – sehr platt. Hier, genau zwischen dem östlichen Rand des Pfälzer Wald "Haardt" und dem Westrand der oberrheinischen Tiefebene auf nur noch 136 m ü.NN, liegt Neustadt an der Weinstraße. Die Stadt mit seinen 53.000 Einwohnern ist eines der Zentren des deutschen Weinbaus und mit 1994 ha bestockter Rebfläche nach Landau in der Pfalz (2053 ha) die größte Weinbaugemeinde Deutschlands. Hier wird jährlich das Deutsche Weinlesefest veranstaltet, bei dem die deutsche Weinkönigin gekürt wird. Schon wenige Jahrzehnte nach der Ortsgründung im frühen 13. Jahrhundert erhielt Neustadt am 6. April 1275 Stadtrechte nach dem Vorbild Speyers. Im Dreißigjährigen Krieg wurde Neustadt sechsmal erobert, erlitt aber, anders als viele andere pfälzische Städte, im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1689-1697) fast keine Schäden. 1816 ging Neustadt, genau wie viele andere pfälzische Städte, an Bayern. Die Neustädter Geschichte kann an ihrer historischen Altstadt nachvollzogen werden. Es wundert nicht: die bedeutendsten Wirtschaftszweige der Region sind der Weinbau und Tourismus – oder gleich: Weintourismus.